Wir lieben unsere Kinder und und tun alles, damit sie glücklich sind – und dann passiert es, dass wir sie unkontrolliert anbrüllen. Anstatt liebevoll zu ihnen zu sein, was wir doch so gerne möchten!
Kinder treiben ihre Eltern manchmal an den Rand des Wahnsinns und bringen sie immer wieder in Stresssituationen, die zu heftigen Kurzschlusssreaktionen führen können. In solchen Situationen übernimmt unser „Reptiliengehirn“ die Führung: Blutdruck und Puls steigen, die Stresshormone überschwemmen den Körper und Energie wird bereit gestellt für Angriff oder Flucht. In einer wirklich brenzligen Situation rettet uns diese Reaktion unter Umständen das Leben.
Doch leider laufen diese Mechanismen nicht nur in lebensgefährlichen Situationen ab, sondern auch bei beruflichem oder familiärem Stress, z.B. bei Streit, Überforderung und Angst. Dann explodieren wir, werden wütend und reagieren unüberlegt und heftig. Hinterher sind wir ratlos und meist über unsere heftige Reaktion erschrocken.
Wir haben immer einen guten Grund für unsere Wutanfälle
Wenn wir unüberlegt und heftig reagieren, wenn unsere Kinder oder Partner unsere „Knöpfe drücken“, werden wir von alten, unverarbeiteten schmerzhaften Gefühlen überschwemmt, die sonst im Unterbewusstsein sicher verwahrt werden, damit sie unseren Allltag nicht belasten. Es übermannen uns die Schmerzen, die Wut und die Verzweiflung, die wir als Kind erlebt haben und die so schmerzhaft und heftig sind, dass wir ausrasten und überreagieren. Und dies umso mehr, je stressiger gerade der Alltag ist.
Verurteile dich nicht für deine heftigen Reaktionen! Du hast einen guten Grund dafür! Aber lerne, die Wutspirale zu unterbrechen, um deine Wut nicht gegen deine Kinder (oder Partner) zu richten. Kinder erschreckt und verunsichert es, wenn die Menschen, die ihnen sonst Sicherheit geben, plötzlich bedrohlich, laut und verletzend werden. Eckard Tolle sagt: „Für ein kleines Kind ist die emotionale Gewalt der Schmerzkörper seiner Eltern schier unerträglich.“
7 Möglichkeiten, um aus einer Wutspirale auszusteigen
Um in einer akuten Stresssituation nicht unkontrolliert auf das Kind (oder den Partner) „los zu gehen“, ist der erste Schritt, sich um sich selbst zu kümmern und den Kontakt zum Kind zu unterbrechen. Dafür gibt es verschiedene Strategien. Probiere aus, was am besten zu dir passt!
- Bis 10 zählen, bevor du reagierst. In dieser Zeit kann sich dein System entspannen und dein rationales Denken setzt wieder ein.
- Anhalten, aus dem Raum gehen und erkennen, dass keine akute Lebensgefahr besteht. Das beruhigt dein System und du kannst dich entspannen.
- Ein paar mal Tief einatmen und verlängert ausatmen. Durch die Ausschüttung von Adrenalin wird die Atmung flach. Verlängerst du die Ausatmung, kommst du in einen Entspannungsmodus und wirst wieder handlungsfähig.
- Sich im Bad einschließen, Arme ausbreiten, sich groß machen und die Wut oder den Schmerz in der Brust spüren und fließen lassen, bis er weg ist. Das hört sich vielleicht komisch an, funktioniert aber!
- Langsam ein großes Glas Wasser trinken, das beruhigt.
- Eiswürfel ins Spülbecken krachen lassen (diesen Tipp habe ich von Nora Imlau. Ich habe ihn noch nicht ausprobiert, finde aber, das klingt erfolgsversprechend!)
- Mir persönlich hilft es in einer solchen Situation am besten, meine Füße zu spüren. Das holt mich aus meinen Emotionen und hilft mir, wieder im „hier und jetzt“ zu landen.
Es braucht Übung …
Diese Schritte helfen uns, aus dem Modus Angriff, Flucht oder Schockstarre auszusteigen und uns wieder in einen denkenden Menschen zu verwandeln. Das ist erst mal einfacher gesagt als getan und du wirst einige Anläufe und Übung brauchen, bis es klappt, doch dann wirkt es! Wichtig ist es dabei, dass du eine Methode findest, die zu dir passt und dass du diese zur Verfügung hast, wenn bei dir der Alarm losgeht. Dass gelingt, wenn du dich für eine Strategie entscheidest und diese in Situationen, die weniger herausfordernd sind, immer wieder übst und anwendest. Dann wird es immer einfacher, sich in einer Schimpftirade zu unterbrechen, bevor es richtig losgeht. Und du wirst merken, dass auch dein Kind sich verändert und immer weniger Wutanfälle bekommt.
Literatur
Stephan Josef Dick/Gertraud Wegst/ Iris Dick, Wertschätzung, München 2017
Jeannine Mik/Sandra Teml-Jetter, Mama, nicht schreien!, München 32019
Nora Imlau, So viel Freude, so viel Wut, München 62018