Aggressives Verhalten von Kindern kann unterschiedliche Gründe haben – und gehört zur Entwicklung dazu

von | 7. Juli 2023

Interview mit Dorothea Fürst-Liess in der Münsterschen Zeitung (Beilage Moritz Dezember 2022)

Geschockt und hilflos fühlen sich die meisten Eltern, wenn ihr Kind von anderen Kindern gehauen wurde. Entsetzt, voller Angst und Scham übermannen Eltern böse Vorahnungen, wenn ihr Kind andere beißt. „Aggressive Verhaltensweisen können zur Entwicklung der Kinder dazugehören“, beruhigt Dorothea Fürst-Liess. „Gerade im Alter von einem bis fünf Jahren tritt es entwicklungsbedingt häufig auf, verschwindet dann aber auch wieder“, weiß die Familientherapeutin nach Jesper Juul aus Münster. Je nach Alter der Kinder können das Treten, Beißen und Hauen unterschiedliche Ursachen haben. Bei Babys kann beißen eine Begleiterscheinung vom Zahnen sein. Zum anderen finden die Kleinen es spannend, wie andere reagieren, wenn sie hauen.

Im Alter von zwei Jahren beginnt für Jungen und Mädchen die Autonomiephase. „Sie wollen die Welt selbstständig entdecken“, erklärt Dorothea Fürst-Liess. „Dabei stoßen sie auf Widerstände wie ein Stop eines Erwachsenen, auf unüberwindbare Hindernisse oder es klappt nicht so, wie sie es sich vorgestellt haben.“ Dadurch entstehen Wut, Angst, Unsicherheit und Frustration, die sich in aggressivem Verhalten entladen können.

Erst ab vier Jahren beginnen die Jungen und Mädchen zu verstehen, dass auch das Gegenüber Schmerzen hat, wenn es gehauen wird, dass andere auch die Gefühle erleben, wie man selbst. „Oft überschätzen wir die Kinder“, erklärt die Fachfrau. „Es dauert, bis sich Einfühlungsvermögen entwickelt hat.“

Es gibt zahlreiche Gründe für aggressives Verhalten: Kinder, die erst spät sprechen, können ihren Gefühlen noch keine Worte geben. Die Impulskontrolle ist noch nicht ausgeprägt. Andere verteidigen sich, suchen Aufmerksamkeit oder Kontakt. Es kann auch ein Zeichen von Überforderung sein. Bei Geschwistern kann Eifersucht eine Rolle spielen – oder der Ärger darüber, dass der Turm umgeschmissen wurde. In der Kita kann ein solches Verhalten darauf hindeuten, dass das Kind noch nicht gut angekommen ist und seine Position behaupten muss.

Konflikte und Aggressionen gehören zum Miteinander dazu – und Kinder müssen erst lernen, wie man diese Situationen ohne hauen, beißen und treten löst. „Kinder haben immer einen guten Grund für ihr Verhalten, den es durch Eltern und Erzieher herauszufinden gilt“, erklärt die Familientherapeutin. „Wir Erwachsenen sollten den Kindern Verständnis entgegenbringen und sie nicht als böse verurteilen.“ Viel entscheidender im Lernprozess ist neben Verständnis das Aufzeigen von Grenzen und Alternativen.

Bei Kindern unter zwei Jahren ist es wichtig, sofort Grenzen zu setzen, wenn sie andere Kinder verletzten – ohne zu schimpfen. Aufgrund des fehlenden Empathievermögens sind keine langen Erklärungen nötig. Bei Kindern ab drei Jahren ist neben Verständnis und Grenzen das Aufzeigen von Alternativen wichtig: „Anstatt zu hauen, komm nächstes Mal zu mir, ich helfe dir und wir finden eine Lösung.“ Sollten Kinder ab drei Jahren nicht nur im Affekt, sondern mit Absicht und wiederkehrend aggressives Verhalten zeigen, kann das bedeuten, dass sie sich in der Familie nicht gut fühlen. Dann sollte Hilfe in Anspruch genommen werden.

Mit freundlicher Genehmigung des Aschendorff Verlages

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