Erziehen auf Augenhöhe

von | 17. Februar 2021

Interview mit Dorothea Liess in der Münsterschen Zeitung (Beilage Moritz Dezember 2020)

Was bedeutet Erziehung auf Augenhöhe?

Liess: Darunter verstehe ich, dass Eltern zum einen alle Gefühle ihrer Kinder wahr- und ernst nehmen und selbst Emotionen zeigen und diese benennen. Zum anderen haben Kinder immer einen Grund für ihr Verhalten, und den gilt es herauszufinden.

Wie setze ich das um?

Liess: Kippt ein Glas um, geht es nicht um den Ärger der Eltern darüber, sondern darum, die Gefühle des Kin- des in den Blick zu nehmen. Geht eine Mutter weg und das Kind weint, kann die Mama sagen: „Jetzt bist zu aber traurig.“

Warum ist es so wichtig, über das Gefühl zu sprechen?

Liess: Durch das Benennen lernen die Kinder ihre Gefühle wahrzunehmen und diese später auch zu benennen. Das ist wichtig, um Impulse kontrollieren zu können. Sie merken: Ich bin wütend, können es sagen und anders reagieren und schlagen beispielsweise nicht sofort zu.

Was tue ich, wenn mein Kind etwas tut, was mir nicht gefällt?

Liess: Dann gibt es drei Dinge: Erstens den Grund herausfinden. Warum  hat der Bruder seine kleine Schwester gehauen? Sie hat ihm die Eisenbahn weggenommen. Zweitens gilt es, Grenzen zu setzen, dem Kind klarzumachen, es wird nicht gehauen. Drittens sollten Mama und Papa Alternativen aufzeigen. Kleine Kinder müssen erst lernen, wie sie sich außerdem verhalten können. Das Kind kann die Eltern rufen oder die Eisenbahn auf dem Tisch aufbauen, wo die kleine Schwester nicht hinkommt.

Es gibt Alltagssituationen, die nicht so einfach zu lösen sind …

Liess: Eltern sollten sich immer fragen, um was geht es jetzt? Wo steht das Kind? Beobachten Eltern ihr Kind beim Abholen in der Kita, merken sie, es ist noch in das Spiel vertieft. Kleine Kinder brauchen beispielsweise Zeit, um sich auf eine neue Situation einstellen zu können. Nimmt sich die Mutter oder der Vater einen Moment Zeit und spricht mit dem Kind, fühlt es sich gesehen und kann leichter mitgehen.

Geht es also immer nach den Kindern?

Liess: Nein, Kinder haben nicht das gleiche Mitbestimmungsrecht wie die Eltern. Es liegt in der Verantwortung der Eltern, den Kindern Orientierung zu geben. Ihnen fehlt die Vorausschau und die Erfah- rung. Dafür brauchen sie die Erwachsenen. Aber sie haben ein Recht darauf, mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen wahr- und ernst genommen zu werden.

Wo liegen die Vorteile für die Familie?

Liess: Werden Gefühle benannt und der Grund für das Verhalten gefunden, fühlt sich das Kind nicht als Person falsch, sondern wahrgenommen. Setzt man dem Nachwuchs dann Grenzen, bezieht es sich auf das Verhalten und nicht auf das Kind. Es spürt, ich bin richtig, wie ich bin, ich bin wertvoll für meine Eltern. Das stärkt das Selbstwertgefühl eines Kindes.

Das klingt schön …

Liess: Gefühle zu benennen und Gründe zu finden kostet Zeit. Aber die Investition lohnt sich, Eltern und Kinder profitieren davon. Fühlt sich ein Kind mit all seinen Gefühlen und Gründen wahr- und ernst genommen, entsteht eine gute Bindung zu den Eltern. Das ist eine Grundvoraussetzung für eine gesunde Entwicklung des Kindes. Die Basis trägt auch, wenn die Konflikte in der Pubertät stärker werden. Fühlen sich Kinder gesehen und ernst genommen, gibt es weniger Machtkämpfe.

Was tue ich, wenn es nicht so gut läuft?

Liess: Mir ist wichtig, dass die Eltern ihrem eigenen Gefühl trauen. Sie  kennen ihr Kind am besten, darauf können sich Eltern verlassen. Fehlt über einen längeren Zeitraum die Freude am Familienleben oder geht es einem Mitglied der Familie nicht gut, können Eltern Unterstützung suchen.

Mit freundlicher Genehmigung des Aschendorff Verlages

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