Trotzphase – Wie begleite ich mein Kind bei Wut, Kummer und Zorn?

von | 25. Januar 2022

Lilly (2 Jahre), eben noch gut gelaunt, bekommt an der Kasse im Supermarkt plötzlich einen hochroten Kopf und dann rollen Wut, Zorn und Kummer wie ein Orkan durch sie hindurch. Sie schreit, tritt um sich und wirft sich auf den Boden. Weil sie es nicht geschafft hat, alleine aus dem Einkaufswagen auszusteigen.

Die kindliche Entwicklung

Ungefähr mit eineinhalb Jahren beginnt die Entwicklungshase, die Trotzphase oder auch Autonomiephase genannt wird, und sie dauert ungefähr zwei Jahre. Die Kinder entdecken in dieser Phase ihren eigenen Willen und wollen am liebsten von jetzt auf gleich alles selber machen. Abhängig vom Temperament des Kindes kann es in dieser Zeit sehr stürmisch werden. Regelmäßige Trotzanfälle, drei bis vier mal am Tag, sind in dieser Zeit keine Seltenheit und das Wörtchen „Nein“ wird zum Lieblingswort.

Ich erlebe in meiner Praxis immer wieder Eltern, die sich fragen, ob das normal ist. Die Vehemenz und die Häufigkeit solcher Orkane kann einen ganz schön verunsichern. Herbert Renz-Polster, Kinderarzt und Autor, zeigt in seinem Buch „Kinder verstehen“, wie man die Trotzphase aus der Evolutionsbiologie heraus verstehen kann und wie wichtig sie für ein Kind ist: „Das kleine, aber nicht mehr ganz so kleine Kind muss sich schließlich innerhalb kurzer Zeit all die Fertigkeiten aneignen, mit denen es außerhalb des Mutterschoßes bestehen kann oder zumindest „gut ankommt“ – wer will sich denn schon im Kindergarten auslachen lassen, weil das Anziehen nicht so richtig klappt?“

Dieses selber Ausprobieren ist ein Entwicklungsschritt, der unbedingt notwendig ist und zu mehr Autonomie führt, deswegen heißt diese Zeit auch Autonomiephase. Zu diesem Ausprobieren gehört es, dass immer wieder etwas nicht klappt oder das ein Wunsch oder ein Bedürfnis nicht erfüllt wird. Und das ist frustrierend!

Gründe für Wut und Frustration

Häufige Gründe für Wut und Frustration in diesem Alter sind folgende:

  • Das Kind will sich nicht helfen lassen.
  • Wir verstehen nicht, was unser Kind von uns möchte.
  • Unser Kind will etwas machen und wir Erwachsenen sind dagegen.
  • Kinder wollen etwas selber machen und das klappt nicht.
  • Es geht ausversehen etwas kaputt, z.B. ein Glas.

Sandra Winkler hat in ihrem wunderbaren Buch „Das Kinder Verstehbuch“ einige Beispiele von Eltern aufgelistet, warum Kinder in Rage geraten:

  • „Ich habe ihm den falschen Löffel für seinen Joghurt gegeben.“
  • „Die Strumpfhose kratzte.“
  • „Die Folge von „Paw Patrol“ war zuende.“
  • „Ihre Schwester hat den Pyjama schneller angezogen als sie.“
  • „Er hat sein Glas umgekippt.

So unterstützen wir die Kinder in der Autonomiephase

Eine einfühlsame Begleitung ist bei den Gefühlsstürmen wichtig. Das bedeutet, erst einmal präsent und möglichst ruhig für das Kind da zu sein und sich klar zu machen, dass die Kinder uns nicht ärgern wollen oder gegen uns sind. Ansprache oder Anfassen funktionieren erst mal nicht. Wenn die Wut vorbei ist, lassen sich die meisten Kinder gerne trösten und in den Arm nehmen.

Kinder brauchen unsere Toleranz für ihre Gefühle, auch für die starken Gefühle wie Wut, Zorn und Aggressionen. Wut und Aggressionen sind keine schlechten Gefühle, sie werden erst destruktiv, wenn wir sie gegen andere richten.

Um zu lernen, wie man mit Wut umgehen kann, ohne sie gegen andere zu richten oder etwas kaputt zu machen, brauchen die Kinder von uns verschiedene Möglichkeiten und Alternativen: Mit dem Fuß aufstampfen oder springen, viele kleine Bälle in eine Ecke werfen, in ein Wutkissen boxen oder schreien. Genau wie bei uns Erwachsenen gilt es herauszufinden, was für das Kind passt.

Kleine Kinder können ihre Gefühle weder bewusst fühlen noch sie benennen. Wir können sie unterstützen, dies zu lernen, indem wir immer wieder und wieder ihre Gefühle für sie benennen:

  • „Vorhin, als du nicht mit Papa mitdurftest, warst du ganz schön wütend.“
  • „Ich sehe, dass du richtig traurig bist.“

Das Erleben und Benennen der eigenen Gefühle ist eine Voraussetzung für die Selbstregulation. Wenn wir die unterschiedlichsten Gefühle bei unseren Kindern nachempfinden und benennen, ohne gleich nach Lösungen zu suchen, spüren die Kinder, dass sie mit ihren Gefühlen richtig sind und fühlen sich wertvoll.

Das Beste, was Eltern für sich und ihr zweijähriges Kind tun können, ist, seine Entwicklung als Geschenk zu betrachten, das ihnen im Laufe der nächsten anderthalb Jahre mehr Zeit und eine größere Freiheit bescheren will.“                                

                                                                                                         Jesper Juul

Literatur
Herbert Renz-Polster, Kinder verstehen, München 102019 | Sandra Winkler, Das Kinder Verstehbuch, München 22020 | Danielle & Snowqueen, https://www.gewuenschtestes-wunschkind.de/2013/05/trotzphase-umgang-mit-wutanfallen-in.html (gesehen 1.2.2022)

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